Flughafen Schönefeld

Als es die DDR noch gab und der Flughafen Schönefeld noch auf dem Gebiet derselben lag, bin ich ziemlich oft von dort nach Budapest geflogen, denn das war billiger und schneller – ohne Umsteigen in Frankfurt. Es war allerdings immer ein kleines Abenteuer, die zwei Kilometer von der West-Berliner Stadtgrenze zum Flughafen zurückzulegen.

Das ging entweder mit dem qualmenden Ikarus-Bus, der vom ZOB am Funkturm nach Schönefeld fuhr und unterwegs einen halblegalen Zwischenstopp am S-Bahnhof Tempelhof einlegte (man erinnere sich, dass die S-Bahn nach einem Vier-Mächte-Vertrag damals auch im Westen von der Reichsbahn der DDR betrieben wurde und Reichsbahngelände damit auch irgendwie exterritorial war), oder man fuhr mit der BVG bis zur Grenze, um selbige fußläufig zu überwinden.

Inmitten von Spanischen Reitern und Betonblöcken lagen die Grenzabfertigungstellen der DDR, die man nach der Entrichtung von 5 DM für ein Transitvisum und eingehender Kontrolle der Papiere durch die Passkontrolleinheiten (Teil des Ministeriums für Staatssicherheit) passieren durfte, um dann an einem Tor in einem Drahtgitterzaun zwischen den Panzersperren darauf zu warten, dass einem der Grenzer auf dem Wachturm gnädig den Einlass gewährte: der elektrische Türöffner summte und der Reisende drückte die Türe zum Arbeiter- und Bauernstaat auf. Nicht, dass man danach etwa die damalige Rudower Chaussee bis zum Empfangsgebäude des Flughafens weiter zu Fuß hätte laufen dürfen, nein, man musste nach Passieren der Grenzanlagen auf den nächsten Flughafenbus – ja, genau den, der vom ZOB kam – warten, der einen dann, ohne übrigens weiteres Entgelt zu fordern, zum Terminal brachte. Man hätte sich so ganz allein ja sonst auf dem letzten Kilometer auch glatt verlaufen oder gar staatsfeindliche Aktivitäten entfalten können. Letzteres haben die Mitarbeiter der Passkontrolleinheit, die den Bus stets begleiteten, natürlich verhindern können.

Es war, wie vieles damals in der geteilten Stadt, sehr bizarr.

Heute ist es etwas schneller und einfacher, aber auch viel unspektakulärer, zum Flughafen Schönefeld zu gelangen. Und wo früher Interflug, Aeroflot, LOT und Malév nach Budapest, Moskau, Warschau starteten, fliegt man heute mit den Billigfliegern dieser Welt, meistens auf dem Weg in den Urlaub, nach Barcelona, Pisa, Paris oder London. Der Flughafen hat so gar nicht mehr den Charme der gewesenen Republik und riecht noch nicht einmal mehr nach DDR. Verantwortlich für das ganz besondere Aroma der – wie Gerhard Seyfried so schön spottete – Deutschen Desinfizierten Republik, das man hin und wieder auch heute noch schnuppern kann, war das “Fein-Desinfektionsmittel Wofasept” aus dem VEB Chemiekombinat Bitterfeld; gelegentlich kann man bei ebay noch eine Originalflasche ersteigern.

Auch wenn das Flughafengebäude inzwischen deutlich aufgehübscht worden ist, sind seine Tage wohl gezählt. Denn nach der Fertigstellung den neuen Flughafens BBI, dessen Bau man vom Infotower aus verfolgen kann, wird hier alles ganz anders aussehen und ablaufen.

Nachtrag November 2020

Den Flughafen Schönefeld gibt es unter diesem Namen nicht mehr, er ist jetzt das Terminal 5 des inzwischen tatsächlich eröffneten Flughafens BER. Und den wunderschönen Infotower gibt es auch nicht mehr.

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16 Antworten auf „Flughafen Schönefeld“

  1. So schöne bunte Stempel in wechselnden Farben konnten die Gulasch-Kommunisten offensichtlich nicht. Ich bin versucht das Fläschchen zu ersteigern um dir den Geruchstest zu ermöglichen, wer weiß was Du da in der Nase hast.

    1. Es wundert mich auch, wie die graue DDR so bunte Stempel produzieren konnte. Wahrscheinlich haben Spezialisten der Staatssicherheit gesagt, dass das fälschungssicherer sei, und damit die Mehrausgabe für bunte Stempelkissen rechtfertigt.

    2. … und Stempelfarbe die nicht ineinander lief und das für alle Stempelkissen gleichzeitig. Allein diese logistische Meisterleistung ist bestimmt mit einem “Banner der Arbeit” prämiert worden. Die hatten ja sonst nüscht.

  2. Herrlich nostalgische Beschreibung 😀
    Ich ärger mich ja krumm und blöd, dass ichs vorm Fall der Mauer nie in die DDR geschafft hab. Iwie war ich da noch zu jung und zu weit weg, um die geschichtliche Tragweite zu erfassen.

    1. Das war ich beides auch von Bayern aus. Ich habe es auch nur ein einziges Mal zu dieser Zeit nach Berlin geschafft – zum Boogietanzen.

  3. Hey, das war ja wirklich spannend – damals …! Hier in Moabit werden wir Tegel noch vermissen … dann schieben wir halt das Köfferle am Hbf in den Zug und gehen dann auf die große Reise 🙂 Wie ich neulich von Insidern hörte, wird es am BBI noch nicht einmal Kantinen für die Angestellten geben. Man darf sich also auf schlechtgelauntes Personal einstellen. 😉

  4. Wer kennt noch die Passkontrollstempel im Pass und auf der Bordkarte
    zumindest Anfang 1971? Essen mit Brot, Eier, Fructsaft, Tee und Kremtorte
    aber bereits Zahnstocher als Standard IF 600 nach Moskau,

  5. Och ja, der Geruch ist mir auch noch “gut” in Erinnerung, zum Beispiel vom Besuch bei einer befreundeten Familie in Mecklenburg in den 70ern. Oder als mein Vater in den 80ern meine (damalige) Freundin und mich vom Transitzug abholte, uns in den Arm nahm, breit grinste und sagte “Ihr riecht nach DDR!”
    Der Link zu Wofasept ist inzwischen leider tot.

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